Radelnd gegen den inneren Schweinehund

Radelnd gegen den inneren Schweinehund

1. Mai 2021 Aus Von Kathrin Franken Freetreat

Über 130 000 gefahrene Radkilometer, mehrere Dutzend Pedale und Zahnräder, rund zwanzig Kilo weniger auf den Rippen und viel mehr Lebensfreude. So sieht sie aus, die Bilanz von Richard Meyer, der seit fast acht Jahren täglich mit dem Fahrrad von Georgensgmünd zum Siemens-Standort Nürnberg in die Arbeit strampelt. Auch im Winter. „Nur zweimal, bei über 20 Zentimeter Neuschnee, konnte ich nicht fahren“ sagt der kaufmännische Angestellte.

Täglich über 4 Stunden auf dem Rad unterwegs …

„Wenn der Gaafer rauslaffd is‘ z‘ spät“ – der etwas derbe, aber durchaus einprägsame Ratschlag des Hausarztes, besser auf die eigene Gesundheit zu achten, ist 2011 Auslöser für einen radikalen Lebenswandel des 55-jährigen Georgensgmünders. 

„Das saß, und ich wusste, ich muss was tun, jetzt gibt’s keine Ausreden mehr.“ Zu hoher Blutdruck und ungesunde Pölsterchen, ständiger Spannungskopfschmerz und Knieprobleme – Meyer wollte dagegen angehen. Statt, wie vom Arzt empfohlen, ACE-Hemmer als blutdrucksenkende Medikamente einzunehmen, lässt sich der gelernte Industriemaschinenschlosser im betrieblichen Gesundheitsmanagement zur allgemeinen Lebensfitness beraten. Angeregt durch die AOK-Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ plant er, zusammen mit einigen weiteren Arbeitskollegen, an wenigstens 20 Tagen im Sommer 2011 mit dem Rad von Georgensgmünd in die Arbeit nach Nürnberg zu fahren. „Insgesamt 78 Kilometer hin und zurück, völlig ohne Training, mit einfachen Joggingschuhen und einem 130-Euro-Fahrrad, das ich gebraucht im Fahrradladen gekauft habe – meine Kollegen haben mir das nicht zugetraut und ich mir anfangs auch nicht“, erinnert sich der 55-Jährige. „Umso mehr hat es mich natürlich angespornt, das durchzuziehen.“

Noch heute hat er den ersten Tag in bester Erinnerung, als er morgens um vier aufstand, um sich zum ersten Mal mit dem Trekkingrad auf den Weg nach Nürnberg zu machen: „Vor lauter Aufregung habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen.“ Und tatsächlich kommen ihm schon nach dem ersten längeren Berg, etwa auf einem Drittel der Strecke, die ersten Zweifel: „Natürlich hat auch die Ausrüstung vorne und hinten nicht gepasst – mir war schon auf den ersten Kilometern klar, dass ich aufrüsten muss, wenn ich das 20 Tage lang durchziehen will“. Aber aufgeben kam schon damals nicht infrage: „Ich hatte schließlich eine Wette zu verlieren.“

Auch seinen Bruder Hans konnte Richard mit der Leidenschaft fürs Radeln anstecken.

Belastungen und Stress abbauen

Und so kämpft er sich weiter auf der Strecke über Roth, vorbei am Meckenloher Wald, entlang des Rhein-Main-Donau-Kanals Richtung Aufseßplatz in Nürnberg, wo er völlig durchgeschwitzt und erschöpft, aber auch stolz und zufrieden ankommt: „Ich freute mich einfach, das geschafft zu haben, 38 Kilometer ohne Training, angekommen in 2:10 Stunden. Die Brotzeit hat nach der Dusche auf alle Fälle geschmeckt wie schon lang‘ nicht mehr“, erinnert sich Meyer.

Und auch den Weg zurück nimmt er an jenem trüben Tag Ende April auf sich, fällt abends todmüde ins Bett. „Ich war die ersten Wochen richtig k. o., war es ja nicht gewohnt, in dieser Liga Sport zu machen“, erzählt Meyer. Schnell verliert er auch an Gewicht. „Es war zwar nicht mein Hauptziel, abzunehmen – aber ein super Nebeneffekt“. 20 Kilo in 12 Monaten – Meyer ist zufrieden, fühlt sich allgemein viel fitter und belastbarer. „Die Knieprobleme waren weg, ich war viel klarer im Kopf und fühlte mich insgesamt einfach wohler.“ Und so beschließt Meyer schon nach ein paar Tagen, das Programm nicht nur 20 Tage lang, sondern dauerhaft durchzuziehen. „Ich hab‘ gemerkt, dass mich das Fahrradfahren nicht nur entspannt, sondern ich Belastungen und Stress abbaue, wenn ich mich so richtig auspowere.“ Wichtige berufliche und private Entscheidungen treffe er seither auf dem Rad.

„Schon nach ein paar Kilometern bist du durch die Bewegung und die Natur weg von allem, dadurch viel klarer im Kopf, und triffst Entscheidungen anders. Schon oft habe ich mir strategische Sachen überlegt oder auf dem Kanal noch einmal geändert. Und fast immer war‘s die bessere Entscheidung, da ich sie viel entspannter getroffen hab‘.“ Durch die Bewegung gelange mehr Sauerstoff in die Lungen, und der verhelfe auch dem Gehirn zu besserer Leistung, ist sich Meyer sicher.

Selbst zu Geschäftsterminen fährt der Siemens-Einkäufer, wenn möglich, mit dem Fahrrad – legere Outfits statt Anzug und Schlips sind mittlerweile bei Vorgesetzten und Geschäftspartnern akzeptiert. Dass er teilweise länger zu den Terminen braucht als mit dem Auto, ist kein Problem. Dafür fährt er morgens früher los – und fehle so gut wie nie erkältungsbedingt in der Arbeit: „Das viele Radfahren, gerade bei Minusgraden und im Winter, stärkt auch das Immunsystem.“ Das zumindest bestätigte ihm sein Arzt, neben einem guten Blutbild, niedrigerem Blutdruck und einen deutlich geringeren Körperfettanteil als zuvor.

„Man darf nicht übermütig werden!“

Für die eigene Sicherheit auf der Straße gehöre neben heller und auffälliger Kleidung auch die Fahrrad-Warnweste mit Reflektoren zur Standardausrüstung. Verschleißmaterial wie Pedale, Bremsklötze oder Ritzelpakete für die Kettenschaltung kaufe er auf Vorrat ein, die müssten alle paar Monate ausgewechselt werden. Ganz unfallfrei ist der Extremradler trotz entsprechender Vorkehrungen aber die letzten Jahre nicht davongekommen. Und so brachte ihn eine durchgetretene Schaltung bei zu hoher Geschwindigkeit vor einigen Jahren schmerzhaft an einem Baugerüst zu Fall: „Ich war einfach zu schnell und bin nicht mehr rechtzeitig aus den Klickspuren rausgekommen“. Die Folge: Ein zweifach gebrochener Kiefer. „Man darf einfach nicht übermütig werden!“

Richtig unangenehm seien auch abgebrochene Sitzstangen, die in Folge zum Stehradeln auf der Reststrecke zwingen. Oder Löcher im Reifen bei minus drei Grad und Schneegestöber. „Das sind dann schon so Momente, in denen du dich fragst, ob du noch ganz normal bist, und warum du dir das überhaupt antust“, sagt Meyer und schmunzelt. „Oder morgens im Winter, wenn du anhand der Spuren im Schnee siehst, dass du der einzige Mensch bist, der bei Minusgraden mit dem Rad fährt.“ In der dunklen und kalten Jahreszeit koste es am meisten Überwindung, sich morgens aus dem warmen Haus oder abends nach der Arbeit noch aufs Rad zu schwingen.

18.000 Kilometer jährlich

Und das nicht nur bei Regen und Schnee. Zwölf Zentimeter Neuschnee seien mit Spike-Reifen gerade noch machbar, nur zweimal er noch höher gelegen. Die einzigen beiden Male, die Meyer dazu zwingen, auf den Zug umzusteigen. Zweimal, in acht Jahren, bei jährlich rund 18 000 Kilometern. Etwa 1000 Euro Fahrtkosten spare er so, im Vergleich zur Bahn. Anfangs, als er noch so gut wie nichts habe selbst reparieren können, sei ihm das Fahrradfahren teurer gekommen als die Bahntickets. „Mittlerweile ist am Rahmen alles geschweißt, da kann gar nichts mehr kaputtgehen“, sagt Meyer und lacht.

Der dreifache Familienvater versucht aber auch nach der Arbeit weitgehend aufs Auto zu verzichten, größere Einkäufe würden dann einfach in den Fahrradanhänger gepackt. Auch auf Urlaubsreisen fährt die Familie mit Bahn und Rädern. „Für mich ist das, neben den gesundheitlichen Aspekten, mein persönlicher Beitrag zum Umweltschutz; ich will die Umwelt nicht unnötig belasten, wo es sich vermeiden lässt.“ Auch wenn er oft seltsame Blicke von Passanten ernte, weil er mal wieder einen Sack Zement, einen Stapel Fliesen oder einen Bienenkasten auf dem Fahrrad nach Hause transportiere …

Vielen Dank, lieber Onkel, dass du mittlerweile fast die komplette Familie „aufs Rad“ gebracht hast!

Am Schönsten radelt es sich im Sonnenuntergang um den See …

Wir wünschen weiterhin sichere Fahrt und freuen uns aufs nächste Seminar mit dir, sobald das wieder möglich ist!

Richard Meyer hielt im Rahmen der Franken Freetreat-Veranstaltungsreihe „Bewusster leben“ an der Arche Brombachsee (heute Sand & Sofa) einen kostenlosen Vortrag zum Radfahren.

Update: Seit Richard im Zuge der Homeoffice-Einführung bei Siemens in der Coronapandemie nicht mehr täglich nach Nürnberg radelt, fährt er täglich ab 6:00 Uhr morgens immerhin die halbe (ca. 30km) und verbindet es mit irgend einem nützlichen Zweck, z.B. geht er Brennesseln und Löwenzahn sammeln, aus denen er Tee und Spinat zubereitet, fährt auf dem Rückweg beim Bäcker vorbei oder geht einkaufen. Anschließend geht er morgens noch 7 Kilometer mit seiner Frau laufen. Respekt!

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