Warum die wirklich guten Geschichten nicht am Schreibtisch entstehen …

Warum die wirklich guten Geschichten nicht am Schreibtisch entstehen …

3. Mai 2018 Aus Von Kathrin Franken Freetreat

Raus aus der digitalen Filterblase – rein in die Natur!

Und wieder klafft es tief und bedrohlich vor uns, versetzt selbst die hartgesottensten Redaktionsleiter in Angst und Bange: Das Sommerloch! In welcher Form, mit welchen Themen werden Redaktionen und Verlage es in diesem Jahr füllen? Längst wurden ängstlich die Tentakel ausgefahren auf der Suche nach potentiellen Sommerlochüberbrückungsthemen wie rührige Geschichten über verstorbene Katzen mit Bürgermeisterqualitäten beziehungsweise lebensgefährliche Missgeschicke, die zeitweilen beim nicht sachgerechten Beschuss von Gürteltieren auftreten können. Welches aus dem Zoo oder gar Schlachthaus ausgebüxte Tier könnte die Nation darüber hinaus in diesem Jahr noch über Wochen in Aufregung halten und in die Fußstapfen von Kuh Yvonne und Problembär Bruno treten? Solange es die von gähnender Leere bedrohten Titelseiten füllen kann, ist alles recht!

Innovationen im Journalismus

Stellt sich dennoch die Frage, wo diese panische Angst vor dem Sommerloch herrührt? Warum freut sich eigentlich niemand auf jene stade Zeit des Journalismus, die sich doch wunderbar dafür nutzen ließe, endlich Themen Platz einzuräumen, denen sonst aktualitätsbedingt keiner zusteht – zahlreiche Vorschläge liefert hier übrigens die Initiative Nachrichtenaufklärung.

Nun ließen sich längst geplante Innovationen und Relaunches fortsetzen. Zeit, Experimente zu wagen, wie es etwa die Nürnberger Nachrichten vormachen, die ihre Redakteure über die Sommerferien – mit Notizblock, Kamera und Smartphone bewaffnet – auf Wanderschaft ins komplette Verbreitungsgebiet der Tageszeitung schicken.

Wir leben in einer Branche, in der Nachdenken und Muße keinen Platz mehr haben. Dabei ist nicht erst seit kurzem bekannt, dass die ständige Informationsflut via Newsdesk im Großraumbüro, kombiniert mit Multitasking und Zeitdruck, nicht nur der größte Feind des Innovationsgeistes, sondern zugleich Killer jeglicher Kreativität ist. Umso sehnsüchtiger müsste man doch alljährlich das Sommerloch als Quell und Phase der Innovation begrüßen! Überstunden und der Zwang zur ständigen Erreichbarkeit scheinen im Journalismus genauso an der Tagesordnung zu sein wie Burnout und Depressionen bei Journalisten. Und doch spiegelt sich das Übermaß an körperlichem und geistigen Einsatz für das eigene Medium nur in den wenigsten Fällen direkt in gesteigerten Auflagen- und Verkaufszahlen sowie Zugriffsraten und Quoten wieder. Laut Studien leidet mittlerweile jeder fünfte Medienschaffende unter Burnout-Symptomen. Speziell hoch motivierte Journalisten brennen aus. Grund dafür ist laut DJV-Dossier die Kombination spezifischer Berufsfaktoren: „Auf der einen Seite sollen Journalisten parallel zu Informationsflut, Digitalisierung und Kommerzialisierung stetig steigende Anforderungen immer noch multimedialer, perfekter und schneller bewältigen, ohne Rücksicht auf ein Privatleben bei unregelmäßigen Arbeitszeiten jederzeit präsent oder erreichbar sein, pausenlos unter Zeit-, Konkurrenz- und Öffentlichkeitsdruck Themen suchen, kritisch berichten, aber bloß keine Werbekunden verprellen, oder für den Leser-, Hörer-, Zuschauer- und User-Gewinn mit ihrem Berufsethos unvereinbar ‚unterhalten‘.“

Ab in die Blaupause!

Vielleicht tun Chefredakteurinnen und -redakteure also gut daran, die Redaktion gleich morgen zur kreativen Blaupause auf die grüne Wiese zu schicken. Im besten Fall sind in den Wolken noch ein paar gute Gedanken zu finden, womöglich sogar genialere als sie vor dem Bildschirm je entstehen könnten.

Begegnen wir dem zu Unrecht vermaledeiten Sommerloch ab sofort mit Wohlwollen und Verstand, statt zwanghaft zu versuchen, Belangloses so aufzubereiten und zu pushen, dass es irgendwie als Aufmacher auf der Titelseite durchgeht …

In diesem Sinne: Carpe diem, carpe Sommerloch!

Eure
Kathrin

Dieser Blogbeitrag ist zuerst als Editorial im Newsletter der Akademie der Bayerischen Presse erschienen.

PS: So sieht das übrigens aus, wenn ich Texte verfasse, die ruhig etwas „out-of-the-box“ sein dürfen. Wie hier auf Vor-Ort-Recherche auf Fuerteventura für die Deutsche Presse-Agentur (dpa), für die ich kürzlich z.B. über den Trend des mobilen Arbeitens an inspirierenden Orten berichtet habe.